Grenzgänger und Brückenbauer – Abschied von Pfr. i. R. Young Bin Lie

Heute haben wir in einem Trauergottesdienst in der Evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde Frankfurt Abschied von Pfarrer Young Bin Lie genommen. Bereits am 14. Dezember war er im Alter von 92 Jahren verstorben. Young Bin Lie war von 1974 bis zu seinem Ruhestand 1991 Pfarrer der EKHN. Er engagierte sich über viele Jahre im Dialog zwischen Nord- und Südkorea und für die Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel.

Zum Studium der Theologie kam Young Bin Lie 1955 nach Deutschland. Nach verschiedenen Stationen u. a. als Ökumenischer Mitarbeiter und als Studentenpfarrer in München wurde er 1974 in den Dienst der EKHN übernommen und trat diesen als Gemeindepfarrer in der Evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde in Niederrad an. Theologie und Engagement der Bekennenden Kirche und seine Kontakte zu Prof. Iwand und Martin Niemöller haben ihn geprägt.

In seiner 1996 zunächst auf Koreanisch erschienenen Autobiographie schrieb Lie im Nachwort: „Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist der Interessenunterschied zwischen Reichen und Armen. Solange der Unterschied zwischen beiden existiert, solange der Besitz auf Kosten der Armen entsteht und solange der Konflikt zwischen beiden anhält, werden Kapitalismus und Sozialismus nicht verschwunden sein. Solange die Stärkeren ihre ‚Freiheit‘ festhalten, solange werden die Schwächeren nach ihrer ‚Solidarität‘ streben. Der Unterschied beider wird immer bleiben. Ich glaube aber, dass eines Tages eine Gesellschaft gestaltet werden kann, in der beide nicht gegeneinander, sondern füreinander arbeiten und miteinander in Frieden zusammen leben werden. Das ist eben der Glaube an ‚das Kommen des Reiches Gottes‘, das Jesus angekündigt hat (Mt. 4,17).“ (Young Bin Lie und Sun Whan Lie, Grenzgänger. Eine Autobiographie, Hamburg 2013, S.266f.) Diese Hoffnung hat ihn angespornt für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung einzutreten. Aus dieser Hoffnung heraus ist seine Initiative zur Begegnung zwischen Christen in Europa und Nordkorea gewachsen die schließlich auch vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf aufgegriffen wurde.

In seinem Grußwort zur Autobiographie schrieb Propst Dieter Trautwein: „Manche Botschafter in unserer Welt machen große Schlagzeilen. Viele andere bleiben fast unbekannt. Ihre Leistungen sind aber meistens von großer Bedeutung. Sun Whan und Young Bin Lie gehören zu den letzteren. Ihre Präsenz in Deutschland und insbesondere in Frankfurt und damit auch in der EKHN ist schon immer, auch wenn es viele nicht merken, ein großes Privileg für uns gewesen. … Ihre Sehnsucht nach dem Ende gegenseitiger tödlicher Bedrohung in Korea gab uns Impulse, in der gemeinsamen Bemühung um Frieden und Gerechtigkeit in der Mitte Europas nicht nachzulassen. Sun Whan und Young Bin Lie waren lebendige Dolmetscher für einen konziliaren Prozess, der nicht nur die Eisernen Vorhänge bekämpft, sondern auch die Frage nach der besseren sozialen Gerechtigkeit wachhält.“ (a.a.O., S.5)

Young Bin Lie sah sich selbst als Brückenbauer zwischen den Völkern und als Grenzgänger. Als solchen wird die ökumenische Bewegung ihn auch in Erinnerung behalten.

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