Auf der Internationalen Konferenz „Gedenken für eine gemeinsame europäische Zukunft“ in Minsk waren heute Morgen Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften und aus den Städten, aus denen Jüdinnen und Juden nach Malyj Trostenez deportiert und im Wald von Blagoschtschina ermordet wurden zu Grußworten eingeladen. Ich war um einen Beitrag für die Evangelischen Kirchen gebeten worden.
Mein Grußwort im Wortlaut:
Mein Grußwort im Wortlaut:
Sehr geehrte Frau Dr. Sahm, sehr geehrter Herr Dr. Balakirev,
sehr geehrte Damen und Herren,
Herzlichen Dank für die Einladung und die Möglichkeit stellvertretend für die Evangelischen Kirchen die die Entstehung der Gedenkstätte begleitet haben ein Grußwort zu sprechen. Einen besonderen herzlichen Gruß von Präses Annette Kurschus, leitende Geistliche der Evangelischen Kirche von Westfalen und Kirchenpräsident Dr. Volker Jung, leitender Geistlicher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau(EKHN). Beide waren gestern bei der Eröffnung in der Delegation des Bundespräsidenten mit dabei.
Ich selbst komme aus der EKHN, lebe in Frankfurt und begleite die Entwicklung der Gedenkstätte seit 2013. 5 Jahre sind nun vergangenen und ich erinnere mich an die beiden Gedenkreisen 2014 und 2015. Es war für mich ein sehr bewegender Moment als ich Pfingsten 2014 im Rahmen einer Gedenkfeier die Liste mit 1.007 namentlich bekannten Menschen jüdischer Abstammung die in den Jahren 1941 und 1942 von Frankfurt nach Minsk deportiert wurden übergeben konnte.
Die Gedenkstätte und das Mahnmal symbolisieren den Weg des Todes, den neben den Jüdinnen und Juden auch belarussische Zivilisten, Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, Partisaninnen und Partisanen sowie sowjetische Kriegsgefangene in den Wald von Blagowschtschina gehen mussten bevor sie von den deutschen Besatzern ermordet wurden. Dass diese so wichtige Gedenkstätte der europäischen Erinnerungskultur realisiert werden konnte bedurfte sicherlich der kontinuierlichen Unterstützung der Politik in Belarus und Deutschland, der Kirchen, der jüdischen Gemeinden und der Zivilgesellschaft. Aber ebenso wichtig war das kontinuierliche Beharren und die Begleitung durch das IBB! Dafür möchte ich an dieser Stelle im Namen der Evangelischen Kirchen die diesen Weg mit begleitet haben all den Verantwortlichen ganz herzlich Danke sagen!
Der planvollen Vernichtung des jüdischen Volkes durch das Nationalsozialistische Regime zu gedenken, das hat einen öffentlichen Charakter und ist ein deutliches politisches Statement. Darüberhinaus geht es aber auch um das Beklagen und das Bedauern der Grausamen Geschehnisse. Die Ereignisse sollten uns im Innersten betroffen machen. Gedenken und Erinnern gehören ganz eng zusammen und dies war gestern bei der Eröffnung der Gedenkstätte für mich ein zutiefst berührender Augenblick.
Die hebräische Bibel, das Alte Testament, ist für unseren Glauben als Christinnen und Christen ein zentraler Referenzrahmen. Dort werden wir immer wieder darauf verwiesen, dass Gedenken und Erinnern eine zentrales Moment der eigenen Vergewisserung ist und mit einer Hoffnungsperspektive verbunden ist.
Im Buch Deuteronomium wird das Volk Israel aufgefordert sich zu erinnern und nicht zu vergessen, dass Gott sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat:
Vergiss nicht die Ereignisse, die du mit eigenen Augen gesehen, und die Worte, die du gehört hast. Lass sie dein ganzes Leben lang nicht aus dem Sinn! Präge sie deinen Kindern und Kindeskindern ein! (Deuteronomium 4,9)
Dieses immer wieder ermahnt werden zur Erinnerung macht deutlich, dass das Erinnern eben nicht das Selbstverständliche ist sondern im Gegenteil das Vergessen unsere Identität bedroht. Erinnern bedeutet die eigene Identität zu verstehen und zu prägen und zugleich verbindet es uns mit den Menschen die vor uns waren. Und nach vorne geschaut wird die Erinnerung eine Begründung für das eigene Handeln – schon die Bibel weiß, dass man aus der Vergangenheit lernen kann und soll:
Einen Fremden sollst du nicht ausbeuten. Ihr wisst doch, wie es einem Fremden zumute ist; denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. (Exodus 23,9)
Die Erinnerung an vergangenes Unheil soll Ungerechtigkeit in der Zukunft verhindern. Es geht der Bibel dabei um eine Zukunft in Frieden, Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenwürde.
Vor einigen Wochen haben wir als Evangelische Kirchen in Deutschland unter anderem 60 Jahre Aktion Sühnezeichen Friedensdienste gefeiert. Präses Lothar Kreyssig hatte im April 1958 am letzten Tag der Synode der Evangelische Kirche in Deutschland zur Gründung der Aktion Sühnezeichen aufgerufen. Die Anerkennung der Schuld für die nationalsozialistischen Verbrechen stand am Anfang des Gründungsaufrufs von Aktion Sühnezeichen. „Wir Deutschen“, heißt es darin, „haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und damit mehr als andere unmessbares Leiden der Menschheit verschuldet. Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen Juden umgebracht. Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, hat nicht genug getan, es zu verhindern.“ In der Überzeugung, dass der erste Schritt zur Versöhnung von der Seite der Täter und ihrer Nachkommen zu gehen sei, baten die Sühnezeichen-Gründer „die Völker, die von uns Gewalt erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun“ – zeichenhaft, als Bitte um Vergebung und Frieden.
Tief beeindruckt hat mich im Rahmen der Feierlichkeiten ein Gespräch mit Yehuda Bacon. Im Herbst 1942 kam er als 13-jähriger mit seiner Familie in das Ghetto Theresienstadt. Im Dezember 1943 wurde er mit seinem Vater in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Er konnte überleben, weil ein SS-Mann Jungen zwischen 12 und 16 aufforderte, sich für einen Sondereinsatz zu melden. In Auschwitz-Birkenau gehörte er dann zur Gruppe der „Birkenau-Boys“. Weil die Pferde im Krieg knapp wurden mussten die Kinder die schweren Wagen durch das Lager ziehen. Nach mehreren Todesmärschen wird er zusammen mit anderen KZ-Häftlingen am 5. Mai 1945 in Österreich befreit. 1946 wanderte er nach Palästina aus. Dort begegnete er Martin Buber und Max Brod die ihn tief geprägt haben. Trotz all der schrecklichen Erlebnisse als Kind im KZ sagte er in Berlin mit ruhiger Stimme: „Ich habe nie die Hoffnung an den kleinen Funken des Guten der im Kern eines jeden Menschen ist aufgegeben.“ Und in seinen Erzählungen berichtete er eindrucksvoll von solch kleinen Begebenheiten.
Leider wird es immer weniger Zeitzeugen wie Yehuda Bacon geben. Umso wichtiger wird die Gedenkstättenarbeit und Orte wie Blagowschtschina und Trostenez. Zurückschauen, sich mit der eigenen Geschichte in Beziehung setzen, sich emotional darauf einlassen – was bei all dem grausamen Leid nicht einfach ist – und dann handelnd in die Zukunft gehen – so versteht die Bibel, was Erinnerung ist! Der Bezug zur Vergangenheit führt zur Hoffnung auf eine Zukunft die vor uns liegt. Diese ist immer wieder bedroht durch Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Das erlebe ich gerade in meinem eigenen Land. Aber mit Yehuda Bacon glaube ich an den guten Kern im Menschen. Aus der Erinnerung wächst die Kraft und der Mut an einem offenen, friedlichen und menschenfreundlichen Europa mitzubauen. Dazu möge auch dieser neue Gedenkort in Blagowschtschina und Konsultationen wie diese beitragen. Als Evangelische Kirchen wollen wir dies auch weiter gerne unterstützen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Oberkirchenrat und Pfarrer Detlev Knoche
Ökumenereferent der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN)
Leiter des Zentrums Oekumene der EKHN und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW)