Am 31. Dezember ist Marlies Flesch-Thebesius im Alter von 98 Jahren gestorben. Sie war Journalistin und eine der ersten evangelischen Theologinnen und Pfarrerinnen in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und die erste Frau im Amt der Beauftragten für Mission und Ökumene in der Propstei Frankfurt.
Ihr Engagement für die Gleichstellung der Frau in der Kirche und in kirchlichen Ämtern, ihr Einsatz für Gerechtigkeit, für die Überwindung des Apartheid Regimes in Südafrika und ihr Einsatz für den christlich-jüdischen Dialog haben das ökumenische Profil der EKHN maßgeblich mit geprägt. Dafür sind wir ihr in der Ökumene sehr dankbar!
Marlies Flesch-Thebesius ist in der Sachsenhäuser Dreikönigsgemeinde aufgewachsen und konfirmiert worden. In einem Nachruf auf der Homepage der Gemeinde schreibt Martin Vorländer, Theologischer Redakteur der Evangelischen Sonntags-Zeitung:
„An Silvester, 31. Dezember, ist Marlies Flesch-Thebesius gestorben. Sie wäre im März 99 Jahre alt geworden und hat zuletzt im Martha-Haus gewohnt.
Marlies Flesch-Thebesius stammt aus einer Frankfurter Familie mit jüdischen Vorfahren. Ihr Elternhaus stand in Sachsenhausen. Sie wurde 1935 in der Dreikönigskirche konfirmiert.
Obwohl evangelisch galt die Familie Flesch-Thebesius den Nationalsozialisten als ‚Halbjuden“. Der Vater war Arzt und verlor wegen seiner jüdischen Herkunft seine Stelle am diakonischen Krankenhaus Sachsenhausen.
Während des Nazi-Terrors und des Zweiten Weltkriegs lebte Marlies Flesch-Thebesius als Übersetzerin in Italien. Nach 1945 kehrte sie nach Frankfurt zurück. Sie war zunächst Journalistin bei der Deutschen Nachrichtenagentur (heute dpa) und bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Dann arbeitete sie vier Jahre lang für das ‚Allgemeine Sonntagsblatt“ in Hamburg.
Mit Ende 30 studierte sie evangelische Theologie und wurde Pfarrerin, erst im Rheinland, dann von 1972 bis 1983 an der Paulsgemeinde in Frankfurt. Zugleich war sie Beauftragte für Mission und Ökumene im Propsteibereich Frankfurt.
Marlies Flesch-Thebesius hat auch als Autorin viel geschrieben, unter anderem das Buch ‚Hauptsache Schweigen“ (1988, überarbeitet 2008). Darin erzählt sie die Geschichte ihrer Familie und ihr Leben unterm Hakenkreuz.
Sie hat das Forschungsprojekt der hessischen Landeskirchen über Christen jüdischer Herkunft mit initiiert. Darüber belebte sich ab 2010 wieder ihr Kontakt zur Dreikönigsgemeinde, der Kirche ihrer Jugend.
Sie wirkte in der Dreikönigskirche bei Gottesdiensten zum Holocaust-Gedenktag mit. Sie besuchte Konfirmandengruppen und beschrieb den Jugendlichen, wie sie als Evangelische mit jüdischen Vorfahren die NS-Zeit erlebt hat.
Nachdem sie von sich erzählt hatte, fragte ein Konfirmand: ‚Wenn Sie das alles erlebt haben, wie alt sind Sie dann eigentlich?“ Sie lachte.
Marlies Flesch-Thebesius war eine kleine große Frau. Klein an Statur, groß in ihrer Ausstrahlung. Wer ihr begegnet ist, erlebte eine feine, kluge Zeitzeugin und engagierte, streitbare Zeitgenossin. Mit 65 demonstrierte sie gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Sie setzte sich für den christlich-jüdischen Dialog ein.
Sie hat mit ihrem Glaubens- und Lebenszeugnis viele berührt.
Danke, liebe Marlies Flesch-Thebesius!“
In der Stadtausgabe der Frankfurter Rundschau vom 3. Januar ist von Peter Hanack auf Seite F7 folgender Nachruf zu lesen:
„Wenn es für Marlies Flesch-Thebesius so etwas wie ein Lebensthema gab, dann war es das Eintreten für Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung. Bis ins hohe Alter setzte sich die Frankfurterin mit der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus und der Rolle der evangelischen Kirche auseinander. Und immer wieder erinnerte sie an den mühseligen Weg der Frauen zur Gleichberechtigung im kirchlichen Amt.
Marlies Flesch-Thebesius entstammte einer angesehenen Familie. Der Großvater Karl Flesch war der erste Sozialbürgermeister im Römer, Vater Max leitender Chirurg an einem evangelischen Krankenhaus in Sachsenhausen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte er sich als Stadtverordneter für seine Heimatstadt engagieren. Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 aber, Marlies war gerade 13 Jahre alt, bekam die Familie Demütigungen und Ausgrenzung zu spüren.
Der Großvater war vor seiner evangelischen Taufe Jude, nach dem kruden Rassenverständnis der Nationalsozialisten galt Vater Max als ‚Halbjude“, sie selbst als ‚Vierteljude“. 1935 verlor der Vater die Stelle in der Klinik, auch die Fürsprache seines Pfarrers Martin Schmidt von der Dreikönigsgemeinde konnte das nicht verhindern. Freunde wandten sich ab, die Mutter wurde depressiv. ‚Wir lebten im Bewusstsein, dass uns immer etwas passieren könnte“, sagte Flesch-Thebesius später über diese Zeit, die sie in ihrer 1988 erschienenen Autobiographie ‚Hauptsache Schweigen“ beschrieben hatte.
Bereits 1934 hatte sich die Dreikönigsgemeinde der Bekennenden Kirche in Opposition zum NS-Regime angeschlossen. Im Jahr 2010 war sie eine der treibenden Kräfte bei der Aufarbeitung der schuldhaften Verstrickung von Teilen der Kirche in die Judenverfolgung – etwa durch den Ausschluss ‚rassejüdischer Christen‘. Flesch-Thebesius war dabei immer wieder als Zeitzeugin in Erscheinung getreten.
Nach dem Krieg wurde sie Journalistin, arbeitete in Frankfurt und Hamburg, studierte Theologie und wurde Pfarrerin, zuletzt von 1972 bis 1983 in der Frankfurter Paulsgemeinde. 65 Jahre alt war sie, als sie das erste Mal demonstrierte – gegen das Apartheidsregime in Südafrika.
‚Sie war ein sehr offener Mensch, unkonventionell, um sprachliche Genauigkeit bemüht“, erinnert sich Heide Lemhöfer an Flesch-Thebesius. Lemhöfer war nach Hessen gekommen, weil sie damals hier im Unterschied zur Rheinischen Kirche Pfarrerin werden durfte, trotz eines katholischen Mannes. ‚Marlies hat mich ganz spontan als Vikarin angenommen, das war für sie keine Frage“, erinnert sich Lemhöfer. Ihr Mann Lutz Lemhöfer, der mit ihr Zeitzeugengespräche geführt hatte, sagt: „Sie war mindestens so sehr Journalistin, wie sie Pfarrerin war.“
Am Silvestertag ist Marlies Flesch-Thebesius im Alter von 98 Jahren in Frankfurt an den Folgen eines Sturzes gestorben.“
Hier finden Sie einen Nachruf von Lutz Lemhöfer für das Evangelische Frankfurt: Abschied von Marlies Flesch-Thebesius