Besuch in der Schneller-Schule

Nach ersten Auswertungsgesprächen mit dem Direktor der NEST, Professorinnen und Professoren und dem Besuch von Vorlesungen zu Jesus im Shia-Islam | Bedeutung der Ikonen in der Orthodoxie | Frauen im Islam habe ich heute Gelegenheit die Schneller Schule in der Bekaa-Ebene zu besuchen. Am Abend ein wunderschönes Konzert der Jazz-Abteilung des nationalen Musikkonsistoriums in Beirut.

350 Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende in den Bereichen Schreiner, Automechaniker und Elektrotechniker werden hier im Grenzgebiet zu Syrien unterrichtet. Engagiertes Lehrpersonal und eine Leitung, die eng mit den Zielen der Schule verbunden sind machen eine herausragende Bildungs- und Friedensarbeit. In den letzten Jahren sind Programme für Flüchtlinge aus Syrien hinzugekommen die auch von der EKHN unterstützt werden. Kleine Hoffnungszeichen in einer sehr angespannten Situation. Wie zentral eine gute Bildung und die Erziehung zu kritischem Denken ist, wird hier greifbar.

Vergangene Woche war eine kleine Delegation der Evangelischen Mission in Solidarität – ems – zu Besuch und ist im Anschluss nach Syrien gereist. Dort besuchte sie eine Schule die mit internationaler Unterstützung auch aus der EKHN für Flüchtlingskinder innerhalb Syriens aufgebaut wurde. Hier ihr spannender Bericht:

„Kinder in Not kann man nicht abweisen“

Generalsekretär und Nahostreferent der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) besuchen Vorschulprojekt in Syrien

von Uwe Gräbe

Besucher aus Europa sind ein seltener Anblick an der libanesisch-syrischen Grenze in diesen Tagen. Entsprechend viel Zeit nehmen sich die syrischen Beamten mit unserer Kontrolle. Schwer hängt der Zigarettenrauch im Büro des zuständigen Offiziers, während wir in ausladenden Polstermöbeln versinken. Die Beamten arten auf das Fax aus Damaskus, welches bestätigen soll, dass wir nach Syrien einreisen dürfen. Nur leider ist der Strom ausgefallen. Also bietet man uns erst einmal tiefschwarzen arabischen Kaffee an, und dann süßen, heißen Tee. Betont freundlich übt man sich in Smalltalk über Gott und die Welt.

Irgendwann heißt es: Das Fax ist da! Wir werden in ein zweites Büro geleitet. Abermals versinken wir in schweren, ausladenden Polstermöbeln, trinken Kaffee und führen Smalltalk. Bis uns schließlich nach rund zwei Stunden unsere Pässe mit den Stempeln darin überreicht werden.!Wir können einreisen!

Die syrische Landschaft, durch die wir dann fahren, ist geprägt von fruchtbarer, roter Erde, Olivenhainen und Dörfern, die geradezu friedlich da liegen. Doch täuschen sollte man sich nicht. Jeder hier weiß, wie schnell die Sicherheitslage auch wieder kippen kann. Auf dem Weg hier her sind wir durch die nordlibanesische Stadt Tripoli gefahren. Genauer: durch das Stadtviertel JabalMohsen, wo sich die verfeindeten Bevölkerungsgruppen noch bis vor einigen Wochen erbitterte Gefechte geliefert haben. Auf der Fahrt erfahren wir, dass an dieser Grenze kürzlich eine der Frauen und ein Kind des Islamistenführers und „Kalifen“ al-Baghdadi verhaftet wurden. Und während wir noch unterwegs sind, werden in der nordöstlichen Grenzregion des Libanon bei einem Überfall sechs Soldaten getötet.

Doch wir sind keine Kriegstouristen. Gemeinsam mit dem Generalsekretär der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS), Pfarrer Jürgen Reichel, möchte ich im syrischen „Tal der Christen“ die Vorschule besuchen, die mit kräftiger Unterstützung der internationalen EMS-Gemeinschaft hier von unseren syrischen und libanesischen Freundinnen und Freunden gegründet wurde. Kurz vor dem Städtchen Safita biegen wir rechts ab; das Dorf, in welchem die Einrichtung liegt, heißt Kafroun.

Gleich nach unserer Ankunft werden wir von den Mitarbeitenden und den Kindern herzlich begrüßt. Gerade erst ist die Tagesstätte umgezogen aus einem großen Hotel in ein kleineres Büro- und Appartmentgebäude. Hier ist die Miete bezahlbar. In einen größeren Saal wurden Wände eingezogen und liebevoll bemalt. Mehrere Klassenzimmer wurden auf diese Weise geschaffen: eine Krippengruppe, eine Kindergartengruppe und eine Vorschulgruppe. Im Kindergarten liegen bunte, lego-ähnliche Plastikbausteine auf dem Tisch; einige Mädchen bauen gerade eine Kegelbahn. In der Vorschule hingegen wird fleißig Englisch gelernt und die Kinder stehen auf, als wir den Raum betreten. „Good morning! How are you?“, rufen sie uns im Chor entgegen.

Alle diese Kinder sind Binnenflüchtlinge: Die meisten stammen aus der syrischen Stadt Homs; andere kommen aus Hama, Aleppo und weniger bekannten Orten, die im Krieg zerstört wurden. Viele dieser Kinder haben Furchtbares erfahren, Familienangehörige verloren, den Verlust ihrer Heimat erlebt. Ungefähr die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist auf der Flucht – innerhalb und außerhalb des Landes. Eine Mitarbeiterin, die gerade neu eingestellt wurde, erzählt von ihrem sechsjährigen Sohn. Oft schreie er des nachts im Schlaf, wenn er sich an die Kämpfe in Homs erinnere.

Wie die Kinder, so sind auch fast alle Mitarbeitenden Binnenflüchtlinge. Oft sind sie nach dem Verlust ihrer Heimat buchstäblich ins Nichts gefallen, bis sie die Möglichkeit bekamen, hier ein kleines Gehalt zu verdienen. Der „Motor“ hinter dem Projekt sind Pfarrer Maan Bitar und seine Frau Ghaouf Hanna. Regelmäßig nehmen sie die mühsame Anreise aus dem Städchen Mhardiauf sich, in dem sie leben. Sie erwirken Passierscheine, diskutieren mit den Soldaten an den Checkpoints, beschwichtigen die lokalen Behörden, denen ein solcher Aufbruch mitten im Bürgerkriegsland suspekt ist.

Langsam verstehen wir, warum Pfarrer Maan mehr Personal eingestellt hat, als ursprünglich mit uns verabredet war. Eine der Erzieherinnen hat eigentlich einen Universitätsabschluss in englischer Literatur, eine andere hat Wirtschaftswissenschaften studiert. Nur die dritte Erzieherin und natürlich die Direktorin sind ausgebildete Pädagoginnen. Doch die fehlenden Pädagogik-Diploma machen die anderen durch unglaubliches Engagement wett. Die Köchin hat vorher in einem Luxushotel in Aleppo gekocht, bevor dieses von Granaten getroffen wurde und die Gäste ausblieben. Jetzt bereitet sie liebevoll die Schulspeisung zu. Natürlich würde sie das alleine schaffen. Aber Pfarrer Maan hat ihr gleich noch eine Assistentin an die Seite gestellt, die auch das Gebäude sauber hält. So ist noch jemand in Lohn und Brot und kann hier neue Hoffnung schöpfen. Und das Essen ist vorzüglich. An diesem Mittag gibt es „Kubbe„, mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen, mit Joghurt und viel Salat. Und zum Nachtisch Obst vom Bauern nebenan. Ein paar syrische Orangen bekommen auch die Besucher noch zugesteckt. Die Kinder kommen aus Flüchtlingsfamilien, in denen die Not so groß ist, dass das Geld für eine tägliche warme Mahlzeit nicht reicht.

Für dreißig Kinder war die Einrichtung ursprünglich geplant. Dann waren es irgendwann doch vierzig. Und jetzt versucht der Projektleiter, mir irgendwie zu erklären, dass es mittlerweile 45 oder 46 sind. Davon stand nichts im Projektantrag. Doch es fällt so schwer, Kinder, die in Not sind, abzuweisen. Die Bevölkerung hier im „Tal der Christen“ hat sich durch den Zustrom an Binnenflüchtlingen vervierfacht. Und obwohl die Schulen im Schichtbetrieb unterrichten, haben viele Kinder keinen Zugang zu einer Bildungseinrichtung.

Der Bedarf wäre groß, das Vorschulprojekt noch zu erweitern. Aber vorerst geht es darum, die Arbeit auch organisatorisch auf sichere Füße zu stellen. Die junge, neue Buchhalterin verspricht, sich darum zu kümmern, dass die Verwendung der Spendengelder für die Freunde und Unterstützer in der internationalen EMS-Gemeinschaft transparent dargestellt wird. Darüber freut sich auch Habib Badr, der leitende Pfarrer der Evangelischen Kirche von Beirut, einer EMS-Mitgliedskirche, die für das Projekt eine maßgebliche Verantwortung trägt.

Die Vorschule im „Tal der Christen“ ist eine Oase, in der alle, die daran beteiligt sind – Kinder und Erwachsene – neue Hoffung schöpfen in einer Situation großer Hoffnungslosigkeit. Wohin wird der Weg in Syrien gehen? Maan Bitar und Ghaouf Hanna erzählen, wie in ihrem Ort Mhardijunge Christen zu den Waffen gegriffen haben, um den Ort vor den Kämpfern der Nusra-Miliz und des „Islamischen Staates“ zu schützen. Es ist ihnen gelungen. Alle friedensethischen Überlegungen werden hier auf eine harte Probe gestellt. Aber was ist die Alternative? Wie wird ein Zusammenleben der unterschiedlichen Gemeinschaften in Syrien jemals wieder möglich sein?

Die Kinder in der Vorschule im Tal der Christen sind zu gleichen Teilen Christen und Muslime. Alawiten und Sunniten leben und lernen hier gemeinsam mit den christlichen Kindern. Als sie uns zum Abschied zuwinken, sehen wir nicht die Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften. Wir sehen ganz einfach: Kinder. Und 45 oder 46 glückliche Gesichter.

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